
Statt Blogbeitrag mal die entsprechende Leseprobe zum 2 Band des Romans „Die große Reise“:
Der Tag begann leicht. Kein Zögern, keine Müdigkeit. Die Luft war frisch, der Himmel klar, der Körper bereit. Ich startete früh, Rucksack auf dem Rücken,
Kamera griffbereit, Paul an meiner Seite, wach, erwartungsvoll. Der Weg führte direkt vom Platz los, über weiche Waldpfade, später auf festen Schotter.
Schon nach wenigen Minuten begegnete ich den ersten Wanderern. Alle freundlich, interessiert, offen.
Es wurde gegrüßt, gewunken, gelächelt. Immer wieder blieb jemand stehen, wir tauschten ein paar Sätze, sprachen über die Strecke, über Hunde, über das Wetter. Eine Frau bat mich, ein Foto von ihr vor
den Felsen zu machen. Ich tat es gern – wenig später bat ich sie um dasselbe.
Der Weg war gut besucht, aber nie überfüllt. Es war ein angenehmes Miteinander. Jeder schien hier aus dem gleichen Grund zu sein: wegen der Felsen. Wegen des Lichts. Wegen der Stille, die trotz allem
blieb.
Die Landschaft veränderte sich. Die Steine wurden
größer, kantiger, höher. Felswände ragten plötzlich aus dem Wald, schmal und hochgezogen wie überdimensionale Buchrücken. Es war ein
Wechselspiel aus Enge und Weite, aus Wald und
Stein.
Paul war wie elektrisiert. Er sprang voraus, kehrte zurück, schnupperte, wälzte sich, rannte los – und
fand irgendwann mitten auf dem Weg eine alte Socke.
Eine völlig zerfledderte, nasse, vergessene Socke. Für ihn war das der Jackpot. Er schleuderte sie durch die Luft, fing sie wieder, ließ sich damit jagen.
Ich lachte. Es war einer dieser perfekten Abschnitte. Noch! Der Weg war klar ausgeschildert – als offizieller Wanderweg, mit Aussichtspunkt, Pfeil und Kilometerangabe. Alles ganz normal. Ich folgte der Markierung, genoss die Landschaft, machte Fotos, schaute in Gesichter. Dann, völlig unvermittelt, stand
sie da. Eine Leiter.
Nicht schräg, nicht als Steighilfe. Eine echte Leiter. Senkrecht an der Felswand befestigt, aus Metall, vielleicht vier Meter hoch. Sie führte zu einer kleinen
Felsterrasse, danach verschwand der Weg zwischen
den Steinen.
Ich blieb stehen. Eine Leiter. Auf einem normalen
Wanderweg. Das kannte ich so nicht. Ich war oft wandern gewesen, auch in den Bergen. Aber dort, wo Leitern vorkamen, war das vorher deutlich markiert.
In Bayern hätte das jetzt mindestens ein schwarzer Punkt bedeutet, oder der Hinweis: „Nicht für Hunde
geeignet.“
Hier stand nichts. Gar nichts.
Während ich noch überlegte, kletterten hinter mir
andere Wanderer an mir vorbei. Zwei junge Leute, ein älteres Ehepaar, sogar eine Familie mit Kindern. Alle machten es einfach. Kein Zögern, keine große Diskussion. Ich fragte eine Frau, ob man den Weg mit Hund gehen könne. Sie schüttelte den Kopf und meinte: „Wir wissen’s auch nicht. Wir sind das erste
Mal hier.“
Paul stand neben mir, wartete. Ich sah auf die Leiter,
sah wieder zu ihm. Dann nahm ich ihn unter den
Arm, kletterte langsam nach oben. Vier Meter. Geht schon.Ich blieb kurz stehen, prüfte den Abstand der Sprossen, warf einen Blick nach oben. Paul saß neben mir, neugierig, aber ruhig. Ich hob ihn hoch, klemmte ihn mir unter den Arm, setzte den ersten Fuß auf die
unterste Sprosse. Stabil. Nass. Machbar.
Die ersten Meter waren ungewohnt, aber es ging. Ich war konzentriert, aber nicht ängstlich. Unten rief eine Frau aus einer Familie: „Respekt, echt cool mit dem Hund!“ Ich grinste zurück. Weiter oben stand ein Mann und sagte: „Sag einfach Bescheid, wenn du Hilfe brauchst!“ Es war kein Mitleid in den Stimmen,
sondern echte Anerkennung. Das tat gut.
Von da an kamen die Leitern in Serie – mal kurz, mal
lang, mal mit versetzten Tritten. Immer wieder
standen Familien, Paare, Alleinwanderer an den
Absätzen, reichten Tipps, reichten Worte, reichten Ermutigung. Ich nahm sie dankbar an.
Es war anstrengend, klar. Paul wurde mit jeder Etappe gefühlt schwerer, mein Arm verkrampfte, die Beine brannten. Aber gleichzeitig war da dieser Gedanke: Ich zieh das durch. Genau so. Allein, aber
nicht allein.
Ich war stolz. Mit jeder Leiter mehr. Aber ich hatte Spaß – echten, ehrlichen Spaß.Oben stand ich erstmal nur da. Nicht, weil ich nicht
mehr konnte – sondern weil ich den Moment wollte.
Ich hatte’s durchgezogen. Alle Leitern. Alle engen
Stellen. Mit Paul unterm Arm, mit Kraft, mit Hirn, mit
Haltung. Keine Heldentat. Aber auch nichts, was man mal eben so macht.
Der Aussichtspunkt war gut besucht. Menschen saßen auf Steinen, lehnten sich gegen Bäume, blickten schweigend ins Land. Manche aßen, manche fotografierten, manche redeten einfach so drauflos. Und dazwischen immer wieder dieser Satz: „Sie sind
mit dem Hund da hoch? Alle Achtung!“
Ich wurde mehrfach angesprochen – von jungen Leuten, von älteren, von einem Pärchen mit
Dackelblick im Gesicht. Ein Mädchen zeigte auf Paul und rief: „Der ist aber cool!“ Ich lachte, nickte. Es
stimmte. Paul hatte das auch einfach mitgemacht, wie selbstverständlich, ohne zu mucken.
Einer fragte: „Sind Sie ganz allein unterwegs?“ Ich
sagte ja. Und dann kam dieser kurze Moment – diese Mischung aus Respekt, Erstaunen, stiller Zustimmung. Ich spürte, wie gut mir das tat.
Die Sonne stand schräg. Das Licht war klar, der Wind mild, die Aussicht unglaublich. Felsen, grün durchzogen, tief unter einem das Tal, in der Ferne die Elbe. Alles weit, alles ruhig. Ich setzte mich auf einen flachen Felsen, Paul neben mir, Rücken an Rücken. Es
war genau richtig. Kein Zweifel, kein Zögern, kein
Wenn.
Das war einer der Momente, für die man unterwegs
ist.Irgendwann musste ich ja wieder runter. Ich war bereit – körperlich durch, aber geistig voll im
Modus. Die Frage war nur: Wie? Die App zeigte
wieder nur Varianten mit Leitern. Kein leiterfreier
Abstieg, nirgends. Das ließ mich kurz schlucken. Hoch mit Hund war eine Sache – aber runter?
Ich stand da, Paul an der Leine, suchte auf dem
Handy die Route, als mich eine Männergruppe ansprach. Vier Typen, sportlich, gut gelaunt, ein bisschen überdreht, aber auf angenehme Art. „Na, auch die Leitertour gemacht?“, fragte einer. Ich
grinste: „Klar“ Das beeindruckte. Sofort war ich in einem Gespräch, locker, direkt, freundlich.
Sie wollten gerade denselben Abstieg nehmen wie ich. Ich erwähnte, dass ich mir mit den Leitern
beim Runtergehen nicht ganz sicher sei – Paul war ja kein Plüschtier. Da boten sie sofort ihre Hilfe an. Einer sagte: „Ich kann dir gern den Rucksack abnehmen, dann hast du die Arme frei.“ Ein
anderer meinte: „Ich nehm dir den Hund, wenn du
willst. Aber ich geb ihn nicht zurück.“ Wir lachten. Ich nahm das Angebot an – zumindest den
Rucksack.
Der Abstieg war wirklich nicht ohne. Direkt am Anfang kam eine lange, senkrechte Leiter. Aber ich fühlte mich sicher. Nicht, weil es leicht war –
sondern weil ich wusste: Ich bin nicht allein. Einer
kletterte vor, einer hinter mir. Paul blieb bei mir.
Alles hatte Rhythmus.
Es war körperlich fordernd. Aber mental? Ein Geschenk.Der schwierigste Teil lag hinter mir. Die langen Leitern waren geschafft, die Muskeln spürbar, aber stabil. Paul hatte wieder festen Boden unter den
Pfoten, der Rucksack war zurück auf meinem
Rücken, und die Männer verabschiedeten sich mit
einem Augenzwinkern. „Du bist tougher als wir alle zusammen“, sagte einer noch beim Weggehen. Ich lachte. Vielleicht war da sogar was dran.
Der Rückweg zog sich sanft durch den Wald. Keine Steigungen mehr, nur noch langgezogene Pfade, leichter Boden, sattes Grün. Paul lief locker neben mir,
die Rute leicht erhoben, aufmerksam, aber nicht mehr
überdreht. Wir gingen nicht mehr – wir glitten.
Ich war erschöpft. Natürlich. Knie, Schultern, Rücken – alles hatte mitgearbeitet. Aber gleichzeitig fühlte ich mich leicht. Irgendwie weit. Der Tag hatte alles gehabt: Herausforderung, Unterstützung, schöne Gespräche, Spannung, Aussicht. Und ich hatte es durchgezogen. Ohne Begleitung. Ohne Ausstieg. Ohne Drama.
Am Wohnmobilplatz angekommen, war Paul der Erste, der auf seinen Platz sprang. Ich ließ die Tür offen, zog die Wanderschuhe aus, duschte lange, heiß, mit diesem ganz bestimmten Gefühl in den Beinen, das man nur nach echten Touren kennt. Der Körper brannte. Aber angenehm.
Der Nachmittag gehörte dem Innen. Tee, weiche Hose, Füße hoch. Paul schnarchte leise, eingerollt wie
ein Stück Glück. Draußen dämmerte es langsam.
Es war einer dieser Tage, von denen man später sagt:
Das war cool!








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